Simone de Beauvoir über die Malerei ihrer Schwester aus dem Brest Katalog (Große Retrospektive 1975)
(Endlich übersetzt hier !)
Meine Schwester lebt nicht mehr in Paris. Ihr Ehemann ist gegenwärtig Mitglied im Europarat der in Straßburg seinen Sitz hat. Sie haben in einem Dorf im Elsass einen alten Bauernhof gekauft aus
dem sie ein gemütliches und charmantes Haus gemacht haben. Von morgens bis abends, sogar im Winter wenn es sehr kalt ist, schließt Sie sich dort in ihrem Atelier ein und malt. Sie hat immer die
Beschränkung der Imitation und die Trockenheit der Abstraktion abgelehnt und dadurch immer geschickter ein Gleichgewicht zwischen Erfindungen und Realität gefunden. Ich habe nicht ihre Ausstellungen
in Haag und in Tokio gesehen die sehr erfolgreich waren. Aber ich mochte ihre Gemälde sehr die von Venedig inspiriert waren und die sie 1963 in Paris präsentierte und noch ein bisschen mehr die
Bilderreihe, mit der sie an die Feste und Tragödien im Mai '68 erinnert. Seit langem macht sie ausgezeichnete Kupferstiche und die Illustrationen für 'La Femme rompue' , die sie zur selben Zeit wie
ihre feinsinnigen Aquarelle ausstellte sind ihr perfekt gelungen. Vor kurzem hat sie eine interessante Maltechnik auf Plexiglas und Polyester erfunden ohne die Ölmalerei aufzugeben. Sie kann all
diese Tätigkeiten gleichzeitig ausüben, weil sie sich fast nie eine Auszeit gönnt. Im Sommer arbeitet sie in einem großen sonnendurchfluteten Atelier in ihrem Haus in Trebiano in Italien. Wir treffen
uns ziemlich oft in Paris und manchmal komme ich zu ihr, um ihre neuesten Bilder und die Rosen in ihrem Garten zu sehen.
Seit langem wünschen meine Schwester und ich, dass sie etwas Unveröffentlichtes von mir illustriert: es hat sich davon nie etwas das kurz genug war, gefunden. Doch die Erzählung, die dem Buch seinen
Namen gibt : 'La Femme rompue' hatte diese gewünschten Maße und inspirierte sie zu bildhübschen Kupferstichen. Mein Wunsch war, der Öffentlichkeit diesen Band in begrenzter Auflage
vorzustellen, von uns beiden signiert, und meinen Text zusammen mit den Kupferstichen meiner Schwester in einer Ausgabe von 'Elle' zu präsentieren.
Simone de Beauvoir.
Aus dem Katalog Brest, 1975
Übersetzung : Veronika Scheitler
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Simone de Beauvoir über ihre Schwester, die Malerin Hélène
de Beauvoir
Die Geschichte von Hélènes Malerei
Meine Schwester war noch ganz jung, als sie zu zeichnen begann. Damals träumte sie davon
Bücher zu illustrieren, aber dass ihr eines Tages die Malerei zugänglich sein würde, wagte sie sich nicht vorzustellen. Als den Schülern ihrer Zeichenschule im letzten Ausbildungsjahr die Ölmalerei
nahegebracht wurde, löste das in ihr große Freude aus und sie widmete sich von nun an hingebungsvoll dieser Aufgabe. 1940 wollte Hélène in Portugal einen Monat Urlaub machen – sie wurde vom Krieg
überrascht und musste fünf Jahre bleiben. Großen Eindruck hinterließ die Arbeit der Frauen in den Salinen. Reflexe des Salzes, des Wassers und der Kristalle faszinierten sie dermaßen, dass sie einen
immer wichtigeren Platz in ihrem Werk einnehmen sollten. Die figürliche Darstellung allerdings blieb immer noch gegenständlich und der traditionellen Perspektive verpflichtet. Zurück in Frankreich
bestimmte hier die abstrakte Malerei alles. Hélène bewunderte gewisse Bilder , aber sie wagte noch nicht, ihren eigenen Weg zu gehen Erst ein Aufenthalt in Marokko 1949 ließ sie kühner werden. Unter
einem solchen Licht wie dort, konnte die klassische figurative Malerei nur zu knallig buntem Kitsch verkommen. Und um dem zu entgehen, ging meine Schwester jetzt mit den Farben freier um und erfand
eine neue Linienführung. Als Sartre und ich sie in Casablanca besuchten, waren wir verblüfft.
Die Bilder fanden viel Beifall, trotz dieses Erfolges wollte Hélène
so nicht weiterarbeiten, weil sie fürchtete, im Manierismus zu versanden. Damals fiel ihr das Buch von Liliane Guerry Brion „L'espace Chez Cézanne" („Der Raum bei Cézanne“) in die Hände. Es wurde
eine Offenbarung, denn ihr kam zum Bewußtsein, wie wenig sie bisher über die Probleme des Raumes nachgedacht hatte. Meine Schwester ging jetzt bei Cézanne in die Schule, nahm eine systematische
Fragmentierung der Formen vor und widmete sich der Erkundung des Lichts. Das führte sie, ausgehend von den Kraftlinien ihrer figurativen Zeichnung, zu ungegenständlichen Konstruktion. Auf diese Weise
entstanden auf den Gemälden, gewissermaßen kontrapunktisch, figurative und abstrakte Bilder nebeneinander. Die Motive waren in etwa immer ungefähr die gleichen: Venedig, Bäuerinnen bei der Arbeit,
Skiläufer – Themen, die ihr ermöglichten, die Beziehungen zwischen Personen und Landschaften herzustellen, um sie sowohl im gleichen Raum und Licht wie in der gleichen Bewegung zu vereinigen. Die
Bilder hatten ein kristallines Aussehen angenommen und der Aufbau war im allgemeinen festgefügt. Hélène hat sie bei Millione in Mailnad ausgestellt und in der Pariser Galerie Synthese. Publikum und
Kritikern gefielen sie, aber die Gemälde entsprachen nicht der Zeitströmung, der informellen Malerei. Dazu passt eine Gegebenheit aus dem Jahre 1958, als sie zu einer Gruppenausstellung in Mailand
eingeladen worden war. Vor der Hängung wurde ihr gesagt, dass die Abstrakten im Erdgeschoss präsentiert würden und die Figurativen in der ersten Etage, worauf sie meinte, dann solle man ihre Bilder
im Treppenhaus hängen. Und so geschah es.
Zu dieser Zeit wurde meiner Schwester deutlich, dass ihre Malerei
sozusagen auszutrocknen begann. Jeder Künstler erzeugt einen eigenen Akademismus, wenn er sich einem System ausliefert. Genau das drohte ihr zu widerfahren. Diesmal half ihr Venedig, und es entstand
eine Serie von Bildern, die auf Personen und Anschaulichkeit verzichten. Übrig blieben Arabesken, Farben und Reflexe. Dann wollte sie weitergehen und noch lebhaftere Formen verwenden. Das bereitete
ihr große Schwierigkeiten und führte zunächst in ihren Bildern zu einem Kampf, mit dem Ergebnis, dass sie alle verbrannt hat. Aus dieser Phase blieben nur die Radierungen erhalten. Hélène hat zu
allen Zeiten zwischen Griffel und Pinsel gewechselt und jetzt half das Schwarz- Weiß, ihre Probleme zu lösen. Die Bilder wurden nun leichter, und das verdanken sie einer Aufteilung des Raumes, die
einen Wechsel zwischen Leere und Fülle ermöglichte sowie der Integration von abstrakten Elementen. Auf den Gemälden, die 1967 in Den Haag gezeigt wurden, ist die figurative Darstellung fast ganz
verschwunden. Aus dieser Epoche stammt der Katalog mit dem Vorwort von Sartre. Meine Schwester fand auch wieder zu den Kristallen der Jahre 1954 und 1960 zurück, die sie in einigen Partien ihrer vom
Mai 1968 angeregten Bilder aufnahm wie in der Serie „Le joli mois de mai“, auf ein und demselben Bild konnte jetzt ihr Pinsel mit mehreren Flächenabschnitten spielen, indem er zuweilen die figurative
Darstellung reduzierte, zuweilen betonte.
Von 1970 bis 1975 wurde Hélène von dem angeregt, was sie vom
berühmten Goldenen Dreieck Asiens gehört hatte: Elefanten, Tiger, Pfaue lösten wunderbare Inspirationen aus. Anlass zu ihrem ersten feministischen Gemälde „Un homme livre une femme aux bétes“ („Ein
Mann liefert eine Frau den wilden Tieren aus“) war der Tod von Gabrielle Russier. Nun fühlte sie, dass ihr die Mittel zur Verfügung standen, auszudrücken, was sie wollte. Ein Bild ist für Hélène eben
nicht nur ein Akkord harmonischer Farben, der zum Komfort des Mobiliars beiträgt. Es stellt vielmehr so etwas wie ein Fenster dar, das den Blick ins Imaginäre öffnet. Dabei möchte sie den Kenner
ebenso ansprechen wie den bloßen Liebhaber. Immer mehr erschüttert sie die Zerstörung der Natur und das Leid der Frauen, in ihrem Werk bringt sie ihren Zorn zum Ausdruck, sei es über Seveso oder
Fessenheim oder die allgegenwärtigen Hüter einer falschen Moral. Gleichwohl malt sie fröhliche Bilder, und selbst in den dunkelsten gibt es immer noch einen kleinen Lichtblick: Einen Flecken blauer
Himmel oder eine Blume als Zeichen der Hoffnung.
Meine Schwester sagte mir, dass sie am meisten über das Ölgemälde nachdenke, das
Aquarell ermögliche ihr Spontaneität, ja sogar die Radierung trotz ihrer rigorosen Technik. Seit 1970 arbeitet sie auf großen Holzflächen mit Acrylfarben, die sie zu ihrem früheren leichten Malstil
und zur Frische des Aquarells zurückzukehren lassen. Dabei kombiniert sie spielerisch Acryl und farbiges Plexiglas, um in ihm Gravuren einzuritzen. Statt mit dem Griffel für den Kupferstich benutzt
ihre Hand nun die Fräse, was sehr schnell geht. „Ich halte den Atem dabei an“, sagt sie. Jede neue Technik zwingt dazu, der Routine zu entgehen und
andere Lösungen zu suchen. Wenn man nicht auf einer Stufe stehen bleiben will, muss man fortschreiten, unaufhaltsam. Die Entwicklung von Hélène hat sich immer spiralförmig vollzogen. Sie ließ gewisse
Ansätze hinter sich, beschritt neue Wege und kehrte wieder zu den Anfängen zurück, um sie dann verwandelt auf eine andere Ebene zu heben. Selten hat es Rückschritte gegeben, viel häufiger eine
Fortentwicklung. Gegenwärtig arbeitet meine Schwester Hélène de Beauvoir an der großen Synthese. Ich bin sicher, dass sie ihr gelingt.
Simone de Beauvoir